Ziel meines Ausflugs war die Erkundung neuer Tauchgewässer im Seengebiet Dahme-Heidesee. Auf meiner „Liste“ stand unter anderem der Ziestsee westlich von Kolberg, ein etwa 500 Meter breiter und 1000 Meter langer See, in dem ich noch nie getaucht bin. Da ich das Wochenende am Streganzer See verbrachte fuhr ich von Prieros Richtung Kolberg. Etwa auf halber Strecke sah ich auf dem Navigationssystem einen kleinen, kaum 500 Meter langen und 200 Meter breiten Waldsee. Dieser idyllisch gelegene See machte mich neugierig. Ich fuhr ab und legte meine Tauchausrüstung für einen Erkundungstauchgang an. Die Sicht war überraschend gut. Im dichten Seerosengürtel beobachte ich kleine Hechte, Barsche und auf dem Grund streckten mir Krebse ihre Scheren entgegen.
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Ich war wirklich positiv überrascht und nahm mir vor, diesen See später etwas besser zu erkunden. Doch wie hieß der See? Am Ufer befanden sich einige kleine Bungalows. Ich erkundigte mich nach dem Namen des Sees: Ziestsee. Das kann doch nicht der Ziestsee sein, dachte ich mir. Zu dem See wollte ich doch gerade fahren und er war laut Navigationssystem noch fast 7 km entfernt. Aber auch auf einem kleinen Straßenschild konnte ich lesen: „Am Ziestsee“. Ich war verwirrt.
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Im Zuge meiner späteren Recherchen stieß ich auf eine Kuriosität: In der Gegend um Kolberg existieren tatsächlich zwei Ziestseen. Beide gehören zur Gemeinde Heidesee. Ein Ziestsee befindet nordwestlich von Kolberg bei Bindow und ein zweiter, kleinerer, drei Kilometer südlich von Kolberg bei Prieros. Dieser merkwürdige Umstand ist Gegenstand einer Suche nach „Ardalions See“ aus dem Roman „Verzweiflung“ von Vladimir Nabokov.
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Ich erfuhr, dass der Schriftsteller, der in den 1950iger Jahren mit dem Roman „Lolita“ weltberühmt und zu einem der einflussreichsten Literaten des 20. Jahrhunderts wurde, am Ziestsee seinen ersten Roman beendet haben soll und einige Jahre später diesem See in seinem Roman „Verzweiflung“ ein literarisches Denkmal setzte. In dem Roman geht es um Mord und Versicherungsbetrug: Ein Mann sieht zufällig seinen Doppelgänger. Um seine Lebensversicherungsprämie zu kassieren, lockt er den Doppelgänger in ein abgelegenes Waldstück an einen kleinen See ("Ardalions See"), erschießt ihn und steckt dem Opfer seine Ausweispapiere in die Tasche. Die Witwe des Täters kassiert die Versicherungsprämie und beginnt mit ihrem Mann an einem anderen Ort ein neues Leben. In „Verzweiflung“ verarbeitete der Schriftsteller einen spektakulären deutschen Kriminalfall der zwanziger Jahre und eigene Erfahrungen eines missglückten Grundstückskaufs. Der kleine Waldsee, an dem der Ich-Erzähler den Mord begeht,
hat offenbar ein reales Vorbild - den Ziestsee.
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In Nabokovs Nachlass befindet sich eine Kartenskizze und eine an seine Mutter adressierte Ansichtskarte aus „Colberg am Wolziger See“. Auf der Karte schrieb er, dass sich sein Roman dem Abschluss nähere und seine Parzelle am See „sehr schön“ sei, „mit Birken und Kiefern, einem kleinen Strand und wunderbaren Seerosen am Ufer.“
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Doch wo befand sich dieser Seerosensee genau? Ist der Ziestsee tatsächlich „Ardalions See“ aus Nabokovs Roman „Verzweiflung“? Bekannt ist, dass der Schriftsteller im Sommer 1929 für einige Wochen eine Parzelle am Ufer des Sees besaß. Sein Biograph Brian Boyd vermute zunächst, dass es sich dabei um den Wolziger See handelt. Die Ehefrau des Schriftstellers hatte zwar mehrmals den Ziestsee erwähnt, doch aufgrund eines Tippfehlers vermerkte Boyd in seinem Manuskript „Colberg am Zietsee“. Da es diesen See nicht gibt, kamen ihm Zweifel hinsichtlich des Namens und er ersetzte "Colberg am Zietsee" durch "Colberg am Wolziger See", das er auf Nabokovs Postkarte gefunden hatte. Der Wolziger See ist aber kein kleiner, abgeschiedener Waldsee, sondern ein großer See mit mehreren Orten an seinem Ufer und einer Fährlinie. Der Irrtum klärte sich auf. Doch damit war das Rätsel nicht gelöst, sondern verwirrte sich weiter. Welcher der beiden Ziestseen ist nun „Ardalions See“? Nach der Kartenskizze des
Schriftstellers müsste es sich um den größeren Bindower Ziestsee handeln, der Umgebungsbeschreibung nach jedoch um den kleineren, im Wald versteckten Prieroser Ziestsee. Es wird angenommen, dass der Schriftsteller den Kleinen Ziestsee beschrieb, ihn aber bewusst an die Stelle verlegte, wo in der Wirklichkeit der Bindower Ziestsee liegt. Vielleicht war es ihm aber gar nicht bewusst, dass es in der Gegend zwei Ziestseen gab. Vielleicht unterlag auch Nabokov der Verwechslung. Er verbrachte dort ja nur sechs Wochen am Ziestsee. Als er einige Jahre später im Ausland den Roman „Verzweiflung“ schrieb, dachte er an seine Erlebnisse und Eindrücke auf seinem Grundstück zurück, verwechselte aber möglicherweise beim Blick auf eine Karte die beiden Ziestseen. Das Rätsel um den Ziestsee ist also noch nicht abschließend entwirrt. Sicher ist aber, dass der See ein interessantes Tauchziel ist.
Literatur:
Dieter E. Zimmer, „Nobokov zwischen den Ziestseen – Entwirrung einer Konfusion“
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